nichtswieweg... vier Abenteurer unterwegs

Auf dem Weg in den grössten Freiluftzoo der Welt - Brasiliens Pantanal
Reisebericht vom 25.04. - 05.05.2006, Brasilien
Highlights: Coronel Ovideo, Ybu Yau, Pedro Juan Caballero, Ponta Pora, Bonito, Miranda, Fazenda Caranda

Martin schreibt:

Den Grenzposten in Mariscal, im Norden Paraguays, haben wir hinter uns gelassen und statten Filadelfia, einer Mennoniten Stadt weiter südlich, einen kurzen Besuch ab. Als wir in der 40'000 Einwohner grossen Siedlung ankommen, fühlen wir uns wie in eine andere Welt versetzt. Die Leute begrüssen sich auf Plattdeutsch, sämtliche Läden, Tankstellen und Banken sind in Deutsch beschriftet. Im Ort herrscht Sauberkeit und Ordnung – ganz wie man es von den Deutschen gewohnt ist.

Natürlich kaufen wir auch in einem der Supermärkte ein, denn hier gibt’s deutsche Spezialitäten wie Landjäger und Weisswürste – in Südamerika eine absolute Rarität, an die sich unsere Gaumen nur noch vage erinnern können. Auf dem Weg zu Filadelfia passieren wir auch einige Orte, mit eigenartigen Namen wie Neuland, Halbstadt oder Grünau.

Die Geschichte der Mennoniten ist schon ein paar hundert Jahre alt. Begonnen hat sie im 16. Jahrhundert, als der damalige Theologe Menno Simons sich einer Gruppe von Täufern angeschlossen hat. Durch sein Wirken wurde er zum Begründer der heutigen Mennoniten Gemeinschaft. Die Mennoniten lehnen Kriegsdienst und Eide ab. Dieser Umstand ist auch der Hauptgrund, wieso diese Menschen ständig vertrieben wurden und sich deshalb ein Leben in absoluter Abgeschiedenheit suchten. Sie sind Pazifisten und erheben den Anspruch, ihre Kinder selbst, in ihrem Glauben und auf Deutsch zu erziehen.

Anzutreffen sind Mennoniten weltweit, darunter auch in Bolivien, Uruguay und Paraguay. Sie leben in Gegenden, in denen sie der Staat duldet, meistens sehr abgelegene Gebiete wie in unserem Beispiel der Chaco in Paraguay. Hier geniessen die Mennoniten die Privilegien eines Staats im Staate. Eigene Religion, eigenes Gesundheits- und Schulsystem und keine Verpflichtungen dem Staate gegenüber lassen diese Menschen hier in einem völlig autarken System leben. Uns hinterlässt die Stadt einen eindrücklichen, aber auch fremdartigen Eindruck.

Wir verlassen Filadelfia und fahren in Richtung Asuncion. Am nächsten Tag brechen wir auf, um in der Hauptstadt Paraguays ein paar Besorgungen zu machen. Heute ist mein Geburtstag und wir beschliessen, auswärts zu essen. In der Stadt finden wir ein gemütliches Restaurant und feiern ein wenig. Neben unserem Tisch sitzt eine Gruppe Leute, zwei von ihnen spielen auf der Gitarre einheimische Lieder. Die klaren und melodischen Stimmen der Sänger, begleitet von den gekonnten Griffen auf ihren Instrumenten lassen uns noch ein wenig länger bleiben als geplant. So kommt es auch, dass wir uns ziemlich spät auf den Weg machen, aus der Stadt herauszufahren. Die Nacht ist schon eingebrochen und der Verkehr ist wie immer in einer südamerikanischen Grossstadt: Nervenkitzel pur. Busse hasten beinahe mit Lichtgeschwindigkeit auf beiden Seiten vorbei und es fehlen wieder einmal die unerlässlichen Strassenschilder für die Orientierung. Ich frage mich wirklich, wieso der Staat für die Herstellung von Verkehrsschildern immer kostbares Aluminium verwendet und nicht billigen Plastik. Wären sie nicht aus Alu, würden die Leute sie auch nicht immer stehlen...

Drei Tage vergehen, wir passieren wundervolle Landschaften und dringen immer mehr in die tropische Natur des östlichen Paraguays vor. Rund 80 Kilometer vor Ciudad del Este finden wir einen schönen Ort um uns niederzulassen und unseren Pajarito in Sicherheit zu parken. Leider ist der Platzzuständige nicht so mit der spanischen Sprache vertraut, denn er spricht ausnahmslos nur Guarani und so kommt es, dass wir am Abend stolze Besitzer eines netten Häuschens mit einer kleinen Veranda sind. Eigentlich wollten wir im Dachzelt schlafen, aber so ist es uns auch recht. Die Temperaturen steigen und steigen und wir sind wirklich froh, einen kühlenden Deckenventilator zu haben. Am nächsten Tag machen wir uns auf, nach Ciudad del Este Shoppen zu gehen. Am Strassenrand hält einer von vielen Fernbussen und nimmt uns mit. Der Bus ist rammelvoll, jeder Platz ist fast doppelt belegt. In dem ganzen Tumult bringen es ein paar Damen doch noch fertig, ein paar Chipas zu verkaufen. Wie sie ihren unhandlichen Brotkorb anmutig durch die schaukelnde Menge hinweg balancieren, ist uns ein Rätsel.

Wir kommen in Ciudad del Este an und machen uns sogleich auf, uns eine Kamera auszusuchen, weil ja unsere Alte in Bolivien zu Bruch ging. Ein paar Geschäfte und Preisschocks später macht uns eine freundliche Verkäuferin darauf aufmerksam, dass Sony einen Reparaturservice unterhält. Wir können uns nicht vorstellen, wie die zerstörte Kamera hier repariert werden sollte, möchten aber dennoch nichts unversucht lassen. Bei der Asistencia Tecnicá angekommen, zeigen wir dem Herrn hinter dem Schalter das gute Stück. „Kein Problem, in einer halben Stunde könnt ihr eure reparierte Kamera abholen“. Uns verschlägt es für einen Moment den Atem. In dem ganzen Tumult, inmitten dieser Marktstände und Krimskrams gibt es tatsächlich einen, der sich an solch sensible Elektronik heranwagt? Wir warten eine halbe Stunde und sind uns schon am ausmalen, wie unsere Kamera durch eine Andere, Gestohlene ersetzt wird. Als wir zurückkommen, können wir es nicht fassen. Alles repariert. Und es ist sogar noch unsere alte Kamera!

Nach dieser Freude machen wir noch ein paar «lebenswichtige» Einkäufe und kehren spät abends zu unserem «Basislager» zurück.

Andrea schreibt:

Vom Campingchef werden wir in unverständlichem Kauderwelsch verabschiedet und fahren in Richtung Norden. In einem kleinen Städtchen namens Ybú Yaú gibt’s dann ein Mittagessen im örtlichen Restaurant. Wir beobachten unser Auto während dem Verzehr des Riesenwienerschnitzels und uns fällt auf, dass die Fliegen ihre helle Freude an unserem stinkenden, schlammverspritzten Gefährt haben. Seit unserer Abenteuerfahrt durch den paraguayischen Chaco erkennt man nicht mehr viel von Pajaritos ursprünglicher Farbe und wir entschliessen uns deshalb, einer Autowaschanlage einen Besuch abzustatten. Eigentlich sind wir ja froh, wenn unser Auto möglichst armselig aussieht, damit ja kein Gelegenheitsdieb auf falsche Gedanken kommt, doch unser Getriebe kratzt seit Tagen wie verrückt und Martin möchte sich das Ganze gerne mal von Unten ansehen, ohne in Schlamm gebadet zu werden.

Der Autowaschservice macht sich dann sogleich an die Arbeit und es dauert fast eine Stunde, bis das Auto wieder sauber ist. Auch der Motor wird mit Hochdruck gereinigt und alle staunen, was sich unter der zentimeterdicken Dreckschicht für ein Prachtexemplar verbirgt. Beim Anlassen kommt dann aber die Ernüchterung. Der Motor ist total abgesoffen. Irgendwo scheint Wasser eingedrungen zu sein. Das haben wir ja schon mal erlebt, sind deshalb nicht besonders beunruhigt und warten ein Weilchen, putzen, trocknen und schrauben herum. Das Weilchen zieht sich dann bis abends um Acht hin, bis der Starter nur noch klickt und gar nichts mehr geht. Es bringt alles nichts, auch der Mecanico, der zufälligerweise bei uns vorbeikommt hat keinen Rat. Wir verabreden uns auf den nächsten Morgen mit dem Mechaniker und schlagen unser Nachtlager mitten in der Waschanlage auf.

Morgens um Sieben steht der Mechaniker und sein Bruder mit dem Abschleppseil vor der Waschstrasse und wir werden zu seiner Garage befördert. Wir finden heraus, dass der Starter durch das viele Anlassen gut durch gegrillt wurde. Mit genug Schwung bringen wir unser Auto auch ohne Starter zum Laufen und machen uns auf den Weg in die grosse Grenzstadt Pedro Juan Caballero, den verbrannten Anlasser in einer Kartonschachtel auf meinem Schoss, denn der Mecanico in Ybú Yaú ist bei unserem Starter schnell mit seinem Latein am Ende. In der Grenzstadt angekommen, wird der Starter schnell geflickt und wir sind wieder einmal mit einem blauen Auge davongekommen.

Weil uns die Garage einen guten Eindruck macht, sprechen wir den Chef gleich mal auf unser kratzendes Getriebe an. Er ist sehr hilfsbereit und bringt uns zu einer grossen Garage seines Freundes auf der anderen Seite der Stadt, die schon zu Brasilien gehört. In Pedro Juan Caballero kann man sich zu Fuss zwischen den Grenzen bewegen, denn das brasilianische Ponta Pora ist mit der paraguayischen Stadt Pedro Juan zusammengewachsen. Wir besprechen unser Problem mit dem Chef der Garage und handeln einen Preis für die bevorstehende Arbeit aus. Die nächsten Tage verbringen wir dann in Pedro Juan, täglich besuchen wir die Garage zwei, dreimal und schauen dem Mechaniker auf die Finger, machen unsere ersten Erfahrungen mit der portugiesischen Sprache. Unsere Annahme hat sich bestätigt, ein Kugellager muss ausgetauscht werden, das das kratzende Geräusch verursacht hat, ansonsten ist alles in bester Ordnung. Zu unserem Glück muss das Lager nicht aus Europa bestellt werden, wir finden hier ein passendes Ersatzteil.

Während der Getrieberevision wohnen wir in einem Hotel auf der paraguayischen Seite, doch ziemlich schnell vermissen wir unser Reiseauto und freuen uns, bald wieder weiterzukommen. Doch irgendwie scheint unsere Pechsträhne nicht enden zu wollen. Das Ladegerät unseres Laptops geht kaputt und wir verbringen eine Ewigkeit mit der Suche nach einem Ersatz. Nach langem, erfolglosem Suchen, finden wir in einem mit alten Elektrogeräten voll gestopften Hinterstübchen einen hoffnungsvollen Bastler, der uns ein neues Ladegerät zusammen lötet. Die Pechsträhne hält an und wir entdecken, dass unser Notebook auch beschädigt ist. Irgendwie können wir dieses Problem aber nach Stunden der Ratlosigkeit ebenfalls lösen und bestellen das nötige Ersatzteil in einem Computerladen.

Nach einigen Probefahrten und falschen Bestellungen des Computerladens sind wir dann nach anderthalb Wochen endgültig fahrbereit. Nur dumm, dass uns die Ostern dazwischen kommen, der Zoll und die Passabfertigung sind geschlossen, wir müssen also noch ein paar Tage länger im Hotel übernachten und die Ostern hier feiern. Unsere Freude ist umso grösser, als wir endlich im Pajarito losfahren können, mit dem guten Gefühl, das Getriebe wieder in Ordnung gebracht zu haben.

Martin schreibt:

Wir geniessen unsere erste Fahrt auf brasilianischem Asphalt und fahren nach Bonito, einem hoch gepriesenen Ort des Ökotourismus. Die Umgebung Bonitos ist bekannt für ihre kristallklaren Flüsse, eindrücklichen Wasserfälle und Grotten mit türkisblauen Lagunen. Viele Flüsse laden zum Schnorcheln ein. Da alles in Privatbesitz ist, können diese Naturparadiese nur mit geführten Touren erkundet werden. Also machen wir uns auf, einen Touranbieter zu suchen. Wir entscheiden uns für eine Tour an den Rio da Prata. Dort soll es angeblich die grössten Fische geben, das Wasser ist am tiefsten und auch die Schnorchelstrecke ist mit 2400 Metern die Längste in der Umgebung.

Tags darauf fahren wir zur Fazenda, die am Rio da Prata liegt. Der Ort ist 55 Kilometer von Bonito entfernt, die Erdpiste dahin in schlammigen Zustand. Als wir an der Posauda ankommen geht’s auch gleich los. Mit Neoprenanzug, Taucherbrille und Unterwasserkamera ausstaffiert, stapfen wir zuerst einmal eine knappe Stunde durch tropischen Regenwald. Ab und zu hören wir Affen in den Ästen hin und her rascheln und ein aufgebrachtes Wildschwein schnaubt über den engen Dschungelpfad. Unser Führer erklärt uns die Flora, doch leider alles in Portugiesisch. Nach der Wanderung kommen wir an einem Weiher an. Schon von Weitem erkennt man die Schemen von Fischen in klarem Wasser. Beim näheren Betrachten zeigt sich das Ausmass der ganzen Pracht. Hunderte von Tropenfischen tummeln sich gemütlich im leichten Strom des Rio da Prata. Andrea und ich können es kaum erwarten, ins Wasser zu gleiten und auf Entdeckungstour zu gehen. Den Schnorchel-Instruktionen unseres Führers können wir nur halbherzig zu hören – zu aufregend ist das alles.

Wir drehen eine erste Runde im Wasser und kommen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Piraputangas schwimmen in ganzen Schwärmen an uns vorbei, dunkelblaue Pacus bewegen sich flink durchs durchsichtige Wasser. Zwischen ein paar Baumwurzeln glitzert uns ein gold-gelber Dourado (Goldbrasse) entgegen. Die tropischen Fische mit ihren kräftigen Farben ziehen uns in ihren Bann. Eine solche Vielfalt an Farben und Formen lässt sich schwer in Worte fassen.

Auf geht’s und wir schnorcheln mit der Strömung durch das azurblaue Wasser. Ab und zu versperren Baumwurzeln und -stämme den Weg und wir müssen die Stellen untertauchen. Die Fische ziehen hautnah an uns vorbei und sind zum Greifen nah. Neugierige kleine Fischchen saugen auf unserer Haut nach Nahrhaftem. Plötzlich eilt ein Pintado (Tiger-Spatenwels) an uns vorbei. Als wir auftauchen, fängt es an zu regnen. Das Wasser prasselt wie wild auf unsere Köpfe und das klare Flusswasser verfärbt sich zu dunklem Blau. Wir kommen zu einer tieferen Stelle, vielleicht knapp vier Meter tief. Vom Grund aus steigen eigenartige Blasen empor und Sand wird umhergewirbelt. Wir sind beim Nacente de Rio da Prata (Geburt des Rio da Prata), so wird dieser Ort von den Einheimischen bezeichnet, angekommen. Mit ein wenig Ausdauer kann man bis zur tiefsten Stelle tauchen und sich das Spektakel von Nahem ansehen. Die Strömung an diesem Ort ist relativ stark und wir werden immer wieder abgetrieben. Nach zweieinhalb Stunden ist unsere Schnorchelpartie zu Ende und wir kehren zur Posauda zurück, nehmen eine heisse Dusche und erfreuen uns am Mittagsbuffet.

Am Abend kommen wir wieder in Bonito an. Auf dem örtlichen Campingplatz machen wir es uns gemütlich. Es gibt einen guten Grund, warum es uns hier her gezogen hat. Der Platz liegt direkt am Rio Formoso und lockt zum Baden. Am nächsten Tag springen wir ins kühle Nass direkt hinter einem Wasserfall und lassen die Seele baumeln. Um uns flattern farbenprächtige Aras und Kolibris schwirren nervös von einer Blüte zur anderen.

Andrea schreibt:

Vor uns liegt das grösste zusammenhängende Feuchtgebiet der Erde und somit auch einer der tier- und pflanzenreichsten Flecken unseres Planeten. Schon seit Beginn unserer Reise ist der Pantanal eines unserer Hauptziele, und nun endlich liegt er vor uns. Von der UNESCO zum international geschützten Biosphärenreservat erklärt, ist der Pantanal nur per Boot zu erkunden und das heisst für uns, dass wir eine Tour buchen werden.

Auf einer Touristenagentur in der südlich des Pantanals liegenden Stadt Aquidauana, buchen wir eine Dreitagestour in den südlichen Pantanal auf der Fazenda Carandá. Am Vorabend machen wir uns bereits auf den Weg in den Pantanal, um am nächsten Morgen frühzeitig bei der Fazenda anzukommen. Bereits auf der schlecht unterhaltenen Erdpiste treffen wir auf die ersten Tiere. Der Jaburu Storch (von Einheimischen Tuiuiu genannt) ist neben dem Kondor das bis anhin grösste Vogeltier, das wir je gesehen haben. Als wir für ein Foto Halt machen, hebt er sich in die Lüfte und breitet seine gewaltigen Flügel aus. Er erreicht eine Spannweite von zweieinhalb Metern, ein gigantisches Tier. Die Sonne geht bald unter und die Dämmerung dauert hier nur kurze Zeit. Deshalb sehen wir uns nach einem Schlafplatz am Pistenrand um. Vor uns springt ein katzenartiges, schwarzes Raubtier auf die Strasse, als es uns entdeckt, flüchtet es erschrocken ins Unterholz. Später finden wir heraus, dass es sich hierbei um einen Jaguarandi handelte. Sozusagen die kleine Ausführung des hier heimischen schwarzen Panters, der schwarz bemalte Bruder des Jaguars. Unzählige bunte Vögel und Papageien fliegen in die Dämmerung und kleine Cuatis springen zwischen die Büsche in Sicherheit.

Kurz nach Sonnenuntergang finden wir ein annehmbares Plätzchen zum Übernachten. Doch die Moskitos machen einem hier wirklich das Leben schwer. Dazu kommt noch eine unerträgliche Hitze, die selbst nachts nicht abnimmt und einen normalen Menschen in einen scheintoten Sklaven des Ventilators verwandeln. Wir machen die ganze Nacht kein Auge zu, auch wegen des ständigen Zirpens und Gurrens, das wir keinem Tier zuordnen können, das wir kennen. Morgens um Fünf sind wir dann mit den Nerven am Ende und ernennen die vergangene Nacht zur Anstrengendsten und Unangenehmsten seit Beginn unserer Reise. Die lüsternen Stechmücken haben sich an uns satt getrunken und so machen wir uns in aller Herrgottsfrühe auf zur Fazenda.

Bei der Fazenda Carandá angekommen, werden wir herzlich von unserem Führer Joao begrüsst. Er wird die nächsten drei Tage unser ständiger Begleiter sein und stellt uns die anderen Leute auf der Fazenda vor. Wir sind, ausgenommen von zwei Fischern, die heute ihren letzten Tag hier verbringen, die einzigen Gäste auf der familiären Pousada. Uns gefällt es hier auf Anhieb. Es gibt einen schönen Esssaal, einen Pool, eine tolle Veranda vor unserem Zimmer und einen Billardtisch. Neben der Pousada erstreckt sich eine grosse schöne Lagune und schon jetzt entdecken wir die ersten Kaimane, hier Jacarés genannt, die sich zwischen den Wasserlilien verstecken.

Unser Programm geht auch gleich schon los. Als erstes werden wir die Umgebung zu Fuss erkunden. Als wir loswandern, fragt uns Joao, ob es für uns ein Problem ist, durch Wasser zu gehen. Auf die Frage, wie tief das Wasser denn sei, zeigt er auf seine Oberschenkel und wir geben mit gezwungenem Lächeln unser Einverständnis. Mit dem Boot geht’s auf die andere Uferseite des Rio Aquidauana und wir sind sofort mitten drin in der Wildnis. Das Blätterdach ist so dicht, dass nur wenig Licht bis zu uns auf den Boden dringt. Wir waten durch knietiefes bräunliches Schlammwasser, während Joao nicht mal mit der Wimper zuckt, bleibt uns fast das Herz stehen, lebt hier doch die acht Meter lange Anakonda und bissfreudige Piranhas treiben ihr Unwesen, ganz zu schweigen von den Würmern und Parasiten, die sich mit Vorliebe in die Haut verbeissen. Doch unser Führer weiss, was er tut und führt uns sicher durch den Urwald. Wir entdecken mehrere braune Kapuzineraffen, die sich mit ihren Familien hoch in den Baumwipfeln tummeln. Joao führt uns zu vielen verschiedenen Vögeln, zeigt uns Tapir- und Wildschweinspuren und lässt uns Dschungel Früchte naschen. Nach drei Stunden kommen wir wieder bei der Pousada an und machen uns hungrig über das Mittagessen her.

Am Nachmittag geht es zum ersten Mal mit dem Boot auf Entdeckungstour. Wir sehen Jacarés, Affen, blaue Arapapageien, Tukane und viele andere Vögel. Im Moment hält hier noch immer die Regenzeit an, das heisst, der Wasserstand ist ziemlich hoch und die Tiere verteilen sich im ganzen Pantanal, sind schwieriger zu finden. Zur Trockenzeit versammeln sie sich an den Flüssen und Wasserlöchern, doch wir staunen trotzdem über die grosse Vielfalt von Tieren, die wir antreffen.

In einer abgelegenen Bucht machen wir das Boot fest und Joao holt die Angelruten hervor. Jetzt werden Piranhas gefischt. Wir werfen unsere Angeln aus und in kürzester Zeit haben wir alle was am Haken. Die grossen Fische nehmen wir mit, die Kleinen bekommen noch eine zweite Chance und werden wieder in den Fluss geworfen. Von Weitem sehen wir einen Alligator (Jacaré), der sich interessiert unseren Fang anschaut. Langsam nähert sich das Jacaré, in der Hoffnung, auch was von der Beute abzubekommen. Bei mir zupft es von Neuem an der Angel. Mit einem Ruck ist der Fisch am Haken und zappelt wie verrückt in der Luft. Jetzt geht alles unglaublich schnell. Das Jacaré schwimmt in einem Affenzahn auf uns zu, macht einen Sprung, schnappt sich den gefangenen Fisch samt Haken und will da Weite suchen. Ich habe wirklich Mühe, die Rute festzuhalten, bis das Jacare sich endlich durch den Silch gebissen hat. Wir jubeln und lachen, so was Grosses hatte ich echt noch nie zuvor am Haken...

Die Dämmerung setzt bereits ein, die Moskitos kommen in ihre Höchstform und wir treten die Rückreise an. Unsere Beute bereiten wir nicht zum Abendessen zu, meint unser Führer. Es sei schon gekocht, wir sollen die Piranhas an die Jacarés in der Hauslagune verfüttern. Gesagt, getan und die Hauskaimane machen sich hungrig über die unverhoffte Köstlichkeit her.

Ebenso wie die Kaimane stürzen wir uns über das Abendessen und fragen, was das für frittierte Nuggets seien. Dabei handle es sich um Fisch, meint Joao und schöpft uns davon beherzt löffelweise in den Teller. Nur gut, dass wir an jenem Abend noch nicht wissen, dass es sich dabei nicht um Fisch, sondern um Jacaréfleisch handelt...

Den Abend lassen wir danach gemütlich auf der Veranda in der Rede (Hängematte) ausklingen.

Martin schreibt:

Der zweite Tag bricht an, es ist gerade halb sieben in der Früh. Joao ist schon lange munter und fragt uns, ob wir auf dem Autodach noch ein wenig Platz für «Zusätzliches» hätten. Dass es sich nur um eine Kleinigkeit von sechs Metern Länge und anderthalb Meter Breite handelt, finden wir erst später heraus. Joao möchte, dass wir sein Boot auf unser Dach schnallen, um in der benachbarten Fazenda die Flora und Fauna auf den überfluteten Wiesen zu beobachten. Also heben wir das 150 Kilogramm schwere Boot zu viert auf Pajaritos Dach und brechen auf.

Wir fahren zurück zur Erdpiste, von dort geht’s zur anderen Fazenda. Schon kurz nach dem Zauneingang wird das Wasser knietief. Die ganze Wiese ist überflutet, überall blühen Lilien und Wassersalate ziehen sich teppichartig über die Savanne. Das Wasser wird immer tiefer und wir halten an. Hier ist Endstation, meint Joao, und wir lassen unser Boot zu Wasser. Pajarito parkieren wir auf einem Inselchen, um ihn zu „trocknen“. Vier Stunden lang rudern wir über die Weide und entdecken hunderte von Vögeln, darunter die grössten Papageien der Welt, wie der Arara Azul (Blauer Ara), viele Storch- und zahllose Spechtarten, die wie wild auf Baumstämme einhämmern. Auch der Tuiuiú, Pantanals Wahrzeichen, lässt sich auf der Suche nach Nahrung nicht von uns stören. Der Pantanal gehört mit 650 hier registrierten Vogel-, 260 Fisch- und 1700 definierten Pflanzenarten zum wichtigsten Ökosystem Brasiliens. In der Trockenzeit von Juni bis August verenden alle Wasserpflanzen und die Wiese gehört den Rindern, die jetzt noch an trockeneren Orten grasen. Die Sonne brennt auf uns herunter und der Schweiss läuft uns in ganzen Bächen über die Haut. Würde der Pantanal nicht durch die vielen Flüsse, die ihr Wasser im Norden sammeln, gespiesen, wäre die Gegend hier so trocken wie der Chaco im Nordwesten Paraguays.

Am Nachmittag unternehmen wir eine Bootstour auf dem Rio Aquidauana – diesmal aber motorisiert. Immer wieder laufen wir das Ufer an und machen uns zu Fuss auf, durch die üppige Vegetation nach Säugetieren Ausschau zu halten. Wir entdecken Kratzspuren auf einem quer liegenden Baumstamm. Die Spuren stammen von einem Jaguar, der das harte Holz als Kratzbaum verwendet. Die tiefen Spuren machen einem klar, was für eine Kraft in dieser Raubkatze stecken mag. Auf ein paar Bäumen können wir Black Howler Monkeys (Schwarzaffen) ausfindig machen, die gekonnt von einem Baum zum anderen durch die Lüfte springen. In Ufernähe tauchen hin und wieder Alligatoren auf und lassen uns nicht aus den Augen, bis wir uns ihnen nähern. Um halb sechs verschwindet die Sonne hinter dem Horizont und der Himmel verfärbt sich lila-rosa und taucht die ganze Flusslandschaft in märchenhafte Farben.

Nach dem fischreichen Abendessen startet unser Focagem: Tierbeobachtung bei Nacht. Es ist bereits stockdunkel und man kann nur erahnen, wie der Fluss verläuft. Hin und wieder halten wir an, und beobachten Vögel, die schlafend auf ihren Ästen sitzen. Sie scheinen nichts von uns zu bemerken. In der Nähe durchquert eine Otterfamilie den Fluss und gibt sonderbare Geräusche von sich. In der Mitte des Flusses schaltet Joao den Aussenborder ab und wir lassen uns von der Strömung treiben. Alles ist still. Hin und wieder wird die Ruhe von einem, nach Insekten schnappenden, Pacu oder Piraputanga unterbrochen. Über uns strahlt das Firmament. Während wir so dahin gleiten, ertönt am gegenüber liegenden Flussufer ein seltsames Grollen. Ouhhh-Ouhhh  ...wir erschaudern, denn wir können die Laute keinem uns bekannten Tier zuordnen. Auch Joao schreckt auf und hört gebannt zu. «Schhhh, ein Jaguar», mahnt er uns ganz ruhig zu sein. Wir nähern uns dem Ufer und versuchen, die Raubkatze zu lokalisieren. Doch das ist leichter gesagt als getan. Es ist stockfinster und unser Führer versucht vergeblich, mit seinem Scheinwerfer durch die Gebüsche zu streifen. Der Jaguar hat uns anscheinend entdeckt und sucht das Weite. Im grellen Scheinwerferlicht reflektieren uns die Augen der Vögel und Reptilien wie rote Punkte entgegen. Spätestens jetzt wird einem klar, wie tierreich der Pantanal ist - beinahe jeder Quadratmeter beherbergt ein paar dieser Punkte. Es ist richtig unheimlich, als würde man von tausend Augen beobachtet werden.

Andrea schreibt:

Schon bricht unser letzter Tag im Pantanal an. So schnell ist die Zeit hier vergangen. Heute werden wir das Feuchtgebiet zu Pferd erkunden und durch die Weiden reiten. Auf Anhieb fühlen wir uns wohl auf den Vierbeinern und reiten durch sumpfiges, knietiefes Wasser. Am Horizont entdecken wir das erste Tier, einen Ameisenbären. Etwas verschreckt irrt der Arme von einem Busch zum anderen, doch unserer Linse entkommt er nicht. Wir wollen das Tier nicht allzu sehr aufregen und lassen es deshalb in Ruhe weiterziehen. Ameisenbären leben als Einzelgänger in Feuchtsavannen, natürlich dort, wo sie grosse Termitenhügel oder Ameisenkolonien vermuten. Ein Ameisenbär verspeist täglich um die 35 000 Kriechtierchen und bricht mit seiner kräftigen Pranke leicht ganze Termitenbauten auseinander.

Die Weiden sind zur Regenzeit allesamt überspült, doch den Pferden scheint das nichts auszumachen. Wir sehen Hirsche und blaue Aras, auch der Jaburu Storch hat sich auf unserem Weg einen Nistplatz eingerichtet.

Die Mittagssonne brennt auf unsere Köpfe, als wir zurück zur Pousada kommen und uns reisefertig machen. Zusammen mit unserem Führer Joao verlassen wir nach dem Mittagessen den Pantanal, und fahren zurück nach Aquidauana, Joaos Heimatort und unserem Ausgangspunkt für die Weiterreise.

Unser Weg soll uns eigentlich über die Grenzstadt Corumba nach Bolivien führen, doch es wird uns ein dicker, schwerer Stein in den Reiseweg gelegt. Wie wir erfahren, sind seit einer Woche alle Grenzübergänge nach Bolivien auf unbestimmte Zeit geschlossen. Weder ein- noch ausreisen ist möglich. Der Grund für den ganzen Schlamassel ist wie so oft Erdöl, bzw. Erdgas. Das grosse Erdgasvorkommen wurde bis anhin von einer brasilianischen Firma gefördert und zu einem grossen Teil über Pipelines nach Brasilien exportiert. Um nicht zu viele Verluste zu machen, hat der bolivianische Präsident nun alle Erdöl- und Gas Konzerne verstaatlicht, die brasilianische Firma geschlossen, viele Brasilianer verlieren ihre Arbeit und der Staat einen rechten Batzen Geld, dazu noch das benötigte Erdgas fuer den Eigenverbrauch. Fazit, Brasilien schliesst alle Grenzen und lässt Bolivien sozusagen austrocknen, denn fast aller Import- und Exportverkehr Boliviens läuft über Brasilien.

Wir stehen vor einer schwierigen Entscheidung. Der einzige Ausweg wäre ein 3000 Kilometer langer Umweg an die peruanische Grenze, deren Strasse allerdings zur Regenzeit nicht befahrbar ist (in der wir uns jetzt befinden) und wir keine Informationen zu eventuellem Fährverkehr haben. Dazu kommen noch die Benzinpreise hier, die nun wirklich von einem anderen Stern sind.

So beschliessen wir, fürs Erste einmal ein wenig zuzuwarten und zu hoffen, eine der beiden Parteien gibt bald nach. Wir nähern uns also der bolivianischen Grenze und machen uns auf die Suche nach einem Campingplatz. Am Strassenrand entdecken wir ein ausgeblichenes Schild, das den Weg zu einem Camping anzeigen soll. Wir biegen ab und finden uns wenige Minuten später auf einem engen Dschungelpfad wieder. Der Weg wird durch das dichte Blattwerk der Bäume immer undurchdringlicher, bis wir von einem quer über die Strasse liegenden Baumstamm das Handtuch werfen. Wir kehren um und finden an einem Flussufer ein lauschiges Plätzchen. Hier verbringen wir gleich zwei Tage und leihen uns das winzige Bötchen eines jungen Fischers aus. Er ist sofort einverstanden und schenkt uns einen lebendigen Köder (einen Krebs), wünscht uns Glück und verabschiedet sich. So rudern wir dann stundenlang flussauf- und abwärts, der kleine Krebs versteckt sich in böser Vorahnung in der hintersten Ecke des Bootes. Schweren Herzens stellt sich Martin dann dem letzten Todeskampf der Krabbe, doch leider umsonst, denn das Abendessen bleibt trotz des grossen Opfers leider vegetarisch...

Die Autobatterien sind leer, die Unseren ebenfalls, denn die Hitze und die menschenfressenden Moskitos machen uns das Leben schwer. Wie wir hören, hat sich während der zwei Tage warten noch niemand vernünftig gezeigt, die Grenze bleibt unverändert geschlossen. Wir beschliessen deshalb, unsere Suche nach einem Camping fortzusetzen und finden auf der Estrada Parque, einer Schotterpiste durch den südlichen Pantanal das Objekt der Begierde. Strom, Dusche, schattigen Unterstand und ein kühles Getränk, diese Aussichten lassen uns unser Quartier hier aufschlagen. Umgeben von Hobbyfischern verbringen wir hier ruhige Tage, haben Zeit, Reiseberichte zu schreiben und auszuspannen. Unsere Nachbarn bereiten uns ein richtiges Fischerfestmahl, einen Pacu, zu. Tagsüber lernt Martin Zaubertricks von einem unterbeschäftigten Berufsfischer und das Auto wird wieder einmal wärmstens umsorgt.

Nach ein paar Tagen wird uns das Warten zu anstrengend. Wir entscheiden uns, über den paraguayischen Chaco zurueck zu fahren, um so nach Bolivien einzureisen. So machen wir uns auf den Weg, alles zurueck. Den Chaco haben wir schliesslich schon einmal bezwungen, warum also nicht noch ein zweites Mal?